23. Alpenbrevet – Der freiwillig gewählte Wahnsinn
Text: Thomas Suter, Bilder: Ulrich Frede
Mit freundlicher Genehmigung von Zwischengas. Originaltext und mehr Bilder dort!
Was macht der Oldtimer-Enthusiast, wenn ihm etwas langweilig ist, er aber nicht gleich Peking – Paris fahren will? Richtig: Er meldet sich für das «Alpenbrevet» an, organisiert von Georg Dönni, dem bekannten Jaguar-Restaurator, und Markus Höchli. Beide haben jeweils genügend Gemeinheiten im Köcher, so dass diese spezielle Nachtfahrt sicher nicht öde wird.
Nachtfahrt? Richtig: Das Durchführungsdatum ist jeweils die Vollmond-Nacht im August. Dieses Jahr fiel der maximale Mondschein idealerweise auf einen Freitag (8. August).
Zur Organisation und Information der Teilnehmer reicht jeweils der Versand eines E-Mails an Hardcore-Oldtimer-Enthusiasten, die Dönni in seinem digitalen Adresskasten gespeichert hält – nicht weniger als 31 Anmeldungen flatterten heuer schliesslich auf sein Pult, was erstaunlich viel war angesichts des nicht ganz unerheblichen Startgelds, das allerdings den Aufenthalt im 5-Sterne-Hotel inkludierte, und des sehr früh angesetzten Anmeldeschluss'. Mit dabei waren folglich alles Leute, die echte Masochisten sind und offenbar von Schlaf und Nachtruhe nicht allzu viel halten.
20 Pässe nach Ansage
Denn: Das Motto lautete «20 Pässe in 20 Stunden». Wer jetzt denkt, «locker zu bewältigen», hat nicht an die Gemeinheiten gedacht, die sich Dönni und Höchli ausgedacht hatten. Start war an einem speziellen Ort, im Hagerbach-Versuchsstollen in Flums. In dieser Höhle gab es nicht nur ein spätes Mittagessen, sondern auch das Briefing, auf das alle gespannt warteten. Und der Start war folglich eben nicht – vernünftigerweise – am frühen Morgen, sondern am Nachmittag ab 15.00 Uhr – mit dem Ziel, spätestens um 11.00 Uhr am nächsten Morgen die Fahrt beendet zu haben. Eben, im Fahren durch die Vollmond-Nacht liegt ja gerade der Reiz an der ganzen Sache.
Netterweise gaben die beiden Organisatoren die Pässe, die bewältigt werden sollten, im Vorfeld bekannt. Die Route, die sich in einer mäandrierenden Grundrichtung von Pass zu Pass schlängelte, mussten die Teilnehmer dann aber selbst herausfinden. Mit allerlei Kartenmaterial und mit in den Navi gespeicherten Strecken fanden sich also die über 60 Wahnsinnigen im Hagerbachstollen ein, genossen mit Gehacktem und Hörnli quasi ihre Henkersmahlzeit und verliessen anschliessend fluchtartig das Gelände, um sich der Herausforderung auf den Strassen zu stellen. Grundkonsens ist übrigens stets die zwingende Einhaltung der Strassenverkehrs-Gesetzgebung!
Der Albula und die Bernina stellten derweil noch nicht die wahren Herausforderungen für die bunt gemischten Teams dar, nach Tirano wurde es aber spannend. Es gab mehrere Anfahrtsmöglichkeiten für den dritten Pass, den Montiorolo, respektive nach früherer Lesart Foppa-Pass, eine äusserst enge Strecke mit zahlreichen, noch engeren Spitzkehren.
Und so zerstreute sich das Teilnehmerfeld allmählich. Während bis in die Abenddämmerung einiger Verkehr die Strassen bevölkerte, angefangen von den «Gümmeler», die die Hoheit auf der Fahrbahn erzwingen wollten, über Wohnmobile und die unvermeidlichen Holländer (alle Feindbilder konnten aktiviert werden und Klischees mit neuen Erkenntnissen aufgefrischt und zusätzlich bekräftigt), wurden Verkehr und Tageslicht immer weniger.
Die Strasse gehörten schliesslich ganz den unermüdlichen Old- und Youngtimer-Piloten und deren Beifahrern (generisches Maskulinum, es gab zahlreiche Mixed-Teams und auch eine Solofahrerin). Das Fahrzeugspektrum war ebenso bunt und vielfältig: Vom Rallye-des-Alpes gestählten Jaguar XK 140 von 1955, dem ältesten Auto im Tross, über mehrere Jaguar XJ, einem Mk 2, einem E-Type und diversen Porsche 911 – vom G-Modell bis zu einem Speedster und einem bemerkenswert frühen, 1978er 928 – zu Alfa Romeo (Berlina 2000 und Junior Zagato) aber auch einem Mini, einem Range Rover S1, einem ADO16 aus dem Hause Innocenti oder einem Subaru Impreza. Und nicht zu vergessen auch ein Opel C-Kadett Coupé, das besonders flott gefahren wurde.
Freiheiten der Nacht
Die Kulisse wurde immer spektakulärer, majestätisch erhoben sich die Bergspitzen der Dolomiten in den Himmel. Dafür wurden die Augen immer müder und der eine oder andere liess sich zu einer Pause hinreissen – Sicherheit geht schliesslich vor! Grandios präsentierten sich die Momente in der kühlen Luft im Morgengrauen auf den menschenleeren Passstrassen der Dolomiten – allein diese Eindrücke rechtfertigen den Wahnsinn der Teilnahme an diesem Alpenbrevet!
Die Zeit zwischen Mitternacht und der Morgendämmerung ist denn auch der Kern und der Hauptgrund, sich diese Tortour überhaupt anzutun. Oder wie es Co-Organisator Georg Dönni formulierte: Das Alpenbrevet liesse sich ohne Nachtfahrt in der angesagten Zeit gar nicht fahren. Eine leere Strasse ist eine Grundbedingung.
Mit wieder zunehmenden Strassenverkehrsteilnehmer im Laufe des Morgens näherte sich der Tross dem Ziel im Hotel Interalpen in Telfs. Mit dem Timmelsjoch musste noch ein letzter Hoger bewältigt werden, dann war es geschafft. Dieser stellte allerdings den Nachzüglern den eindeutigen Beweis, dass der Zeitplan absolut seine Berechtigung hatte: Ab 9 Uhr herrschte hier das totale Chaos und Reisebusse, unfähige Automobilisten und die unvermeidlichen Radfahrer lieferten sich ein wildes Gewusel auf der steilen, engen Strecke.
Auf diejenigen, die rechtzeitig (also vor 11.00 Uhr) eintrafen, wartete ein opulentes Frühstücksbuffet, das keine Wünsche offenliess. Danach stand die Wahl zwischen einer Runde deliriumsmässigem Schlaf oder einigen Runden im angenehm kühlen Swimmingpool offen – oder irgend einer Art Wachzustand dazwischen, die beides in sich vereinte – Bad und Schlaf.
Von den 31 Gestarteten erreichten deren 29 das Ziel. Die Ausfallgründe der beiden Liegengebliebenen: Antriebswelle gebrochen und definitiv ausgestiegene Benzinpumpe. Als erster erreichte Pascal Kuster mit seinem C-Kadett das Interalpen Hotel in Telfs-Seefeld (A), das Ziel des 23. Alpenbrevets bereits am frühen Morgen, die letzten checkten hingegen erst gegen 14 Uhr in dem überaus autofreundlichen Hotel mit dem befahrbaren Eingangsbereich in der riesigen Tiefgarage ein. Wer alle Pässe geschafft hat ist aber in jedem Fall ein Sieger. Und nebenbei erwähnt, wer meint, das Ganze sei ein Ausdruck jugendlichen Leichtsinns sieht sich getäuscht, der älteste Teilnehmer – Fahrer und Navigator im zugleich ältesten Wagen des Feldes und keine Minute auf dem Beifahrersitz schlafend – hat Jahrgang 1937.
Das Alpenbrevet - Das Original
Stets zu einer Vollmondnacht im August startet das Alpenbrevet für Automobile. Organisiert wird es durch den Jaguar-Spezialisten Georg Dönni und Markus Höchli. Die Rahmenbedingungen sind derweil denkbar einfach wie auch herausfordernd: Es gilt eine bestimmte Strecke abzufahren, die Route ist ungefähr vorgegeben. wichtig ist es, gewisse Markpunkte angefahren zu haben. Als Beweis dienen Bilder, welche die Teams vor Ort schiessen. Am Ende trifft man sich an einem vereinbarten Endpunkt und irgend ein Team wird zum Sieger erkoren. Das Endergebnis wird derweil selten diskutiert oder gar in Frage gestellt. Wer zu Ende gefahren ist, ist unter den Siegern.