DER WERT DES KULTURGUTS
Restaurieren, umbauen oder gleich ersetzen? Hauptsache, man geht mit Oldtimern um wie mit Kulturgut, fordert ein neues Projekt.
Nostalgische Erinnerungen an die erste Fahrt im Käfer über den Gotthard ans Meer in die Familienferien oder doch eher Dreckschleuder zum Zeitvertreib einiger weniger? Den Youngtimer reparieren oder durch ein zeitgemässes Elektrofahrzeug ersetzen? Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor, einst als Symbol der persönlichen Freiheit und als Aushängeschild der technischen und gesellschaftlichen Entwicklung betrachtet, werden heute kritisch beäugt, manchmal sogar geächtet. Das hat auch Auswirkungen auf klassische Fahrzeuge und Oldtimer, angezeigt wäre deshalb eine differenzierte Analyse.
Das klassische Auto, das Motorrad, der Traktor und viele mehr sind Zeitzeugen, sie haben einen sogenannten Zeugniswert – ein Begriff aus der klassischen Denkmalpflege. Da sich um die Fahrzeuge ein ganzer Kosmos gebildet hat, stehen sie zudem nicht isoliert da. Sie legen Zeugnis ab von Industrien und Zulieferern, der Infrastruktur, dem gesetzlichen und gesellschaftlichen Wandel. Auch Designs als Abbilder ihrer Zeit oder sogar der Wert eines Menschenlebens lassen sich an Fahrzeugen erkennen und bezeugen. Das alte, gesammelte oder zumindest erhaltene Objekt wird zum umfangreichen Wissensträger.
Der Umgang mit diesen Gütern soll faktenbasiert sein und bewusst gestaltet werden. Aus diesem Grund hat im Umfeld des Swiss Car Registers (SCR) ein Projektteam aus Sammlern, Classic-Car-Experten und Sachverständigen aus der Denkmalpflege den Classic Vehicle Compass lanciert.
DIE CHARTA VON TURIN
Mit der Charta von Turin hat die Fédération Internationale des Véhicules Anciens (FIVA), der Weltdachverband der Oldtimerklubs, 2013 ein Grundlagenpapier über den Umgang mit historischen Fahrzeugen geschaffen. Sie lehnt sich an die Charta von Venedig an, die in den 1950er-Jahren unter dem Eindruck der immensen, auch kulturellen Verluste durch den Zweiten Weltkrieg als massgebendes Dokument für die zeitgemässe Denkmalpflege entstanden war. Dank der Charta von Turin erlangte die FIVA den Status einer akkreditierten Nichtregierungsorganisation der UNESCO, die sich als Unterorganisation der UNO neben vielen weiteren Aufgaben bekanntlich um nichts weniger als das Welterbe der Menschheit kümmert. Die FIVA kam damit dem Ziel, dass die Oldtimer als kulturelles Welterbe anerkannt werden, einen Schritt näher, und der nicht-finanzielle Wert und die Bedeutung dieser historischen Objekte des motorisierten Strassenverkehrs lassen sich besser vermitteln.
Der Classic Vehicle Compass ist eine internetbasierte Plattform für Fragen, Strategien, Konzepte und Methoden im Umgang mit alten Fahrzeugen. Sie ist offen für unterschiedlichste Beiträge von Autoren und Autorinnen aller Sprachen. Die Verantwortlichen erhoffen sich auch Themen für Einsteigerinnen, Junge oder Wissensträger aus angrenzenden Fachgebieten. Um das Wissen und Informationen über klassische Fahrzeuge besser vermitteln zu können, setzen die Plattformbetreiber auf eine gemeinsame Sprache. Basierend auf Begriffen aus dem Umgang mit dem kulturellen Erbe veröffentlicht der Classic Vehicle Compass ein überschaubares, aber präzises Glossar all jener Begriffe, die für die Kommunikation untereinander und mit dem Umfeld hilfreich sein können. Auf der Plattform finden sich Dokumente zu den Grundlagen im Umgang mit historischen Objekten, in diesem Fall natürlich besonders mit Fahrzeugen und der dazu gehörenden Infrastruktur, Abhandlungen über relevante Bereiche, aber auch konkrete Fallbeispiele.
VOM FAHRZEUG AUSGEHEND
Der bewusste Umgang mit einem Fahrzeug, den die Plattform fördern will, basiert auf dem Fahrzeug selbst, seiner Geschichte und seinem Zustand. Davon ausgehend lassen sich Massnahmen und die passende Nutzung herleiten. Fahrzeuge sind in der grossen Mehrheit industriell gefertigte Güter. Auch wenn sie in Details Unterschiede aufweisen, haben doch meist mehrere Exemplare einer Baureihe überlebt und müssen daher auch nicht alle gleich behandelt werden. Den Scheunenfund belässt man vielleicht in seinem aktuellen Zustand, es ist aber auch nicht verboten, aus einem millionenfach gebauten Mini einen Restomod zu bauen. Michael Schumachers Benetton B192 aus der Formel 1 hingegen wäre dann von Interesse, wenn er möglichst nah am historischen Betriebszustand auf einer Rennstrecke wieder zum Einsatz käme.