SCHRAUBE LOCKER?

Text: Martin Sigrist Bilder: Vesa Eskola

Zoll oder Metrisch? Jaguar hat diese Frage in den 1980er-Jahren eindeutig zu beantworten angefangen: Metrisch. Gemäss verlässlicher Quelle war das letzte Zollgewinde abseits einer Spezialanwendung in einem Jaguar die Batteriebefestigung beim XJ40. Wer aber einen älteren Briten fährt, mag die Kürzel  

Geschichte wiederholt sich, wer einen Blick auf die Technikgeschichte wirft, sieht diese Aussage erhärtet. Heute spricht man von Konnektivität und meint die Kommunikationsfähigkeit verschiedener digitaler Systeme untereinander, das Handy mit dem Parkautomaten oder das Auto mit dem Handy, Drucker und Computer und so weiter. Damit dies gelingt gibt es normierte Systeme, so etwa Bluetooth zur Kommunikation verschiedener Geräte, oder den QR-Code zum Scannen mit dem Handy um die einfachsten Dinge zu nennen. Der Norm vorausgegangen ist meistens eine Startphase mit proprietären Systemen, eigenen Betriebssystemen und Schnittstellen, mit verschiedenen kleinen Universen, deren Ursprung meistens an einem einzigen, zentralen Ort liegt – einem Unternehmen oder einer Denkschmiede – und die mit Patenten und Musterschutz belegt werden, damit sich niemand anders daran unverdient gütlich tun kann. Immer wieder stossen dann diese Systeme an ihre Grenzen, bedürfen der Interaktion mit der Welt um sie herum. Dann braucht es einheitliche Normen und Dinge passend zu machen. Bei den Schrauben war dies nicht anders.  

In der Frühzeit der Industrialisierung bauten sich die Fabriken und Manufakturen ihre Maschinen selbst. Die Werkstätten mancher dieser Pioniere des Maschinenzeitalters nutzten ihre eigenen Gewinde und Systeme, oder aber fertigten einen Ersatz für ein bestimmtes Teil nach Bedarf. Diese Praxis wurde auch dann beibehalten, als die Maschinen mobil wurden, so etwa mit der Erfindung der Eisenbahn. Die Verwendung unterschiedlichster Schraubverbindungen war zwar Mühsam, aber es bewahrte beispielsweise die Lokomotiven davor, in fremden Werkstätten unstatthaft modifiziert oder auch nur repariert zu werden. Nur das eigene Depot verfügte über den passenden Ersatz und die entsprechenden Werkzeuge, das «herumschrauben » – im wahrsten Sinne des Wortes – durch andere wollte man unbedingt vermeiden.  

 

DRINGENDE VEREINHEITLICHUNG  

Joseph Whitworth wurde 1803 in Stockport geboren und wuchs mitten in die sich im Aufbruch befindende Industrialisierung und Mechanisierung des frühen 19. Jahrhunderts hinein. Nach seiner Lehre bei seinem Onkel, dem Betreiber einer Baumwollspinnerei, spezialisierte sich der junge Mann auf die Fertigung von Werkzeugen und Maschinen zur Herstellung derselben. Präzision war ihm wichtig und so verbesserte er durch die Entwicklung neuer Herstellungsmethoden, etwa einer Planmaschine, die in der Lage war, vollkommen ebene Flächen zu erreichen und mit seiner Forderung nach Präzision die Fertigungstoleranzen soweit, bis er in der Lage war, Teile auf den Millionstel genau zu fertigen. Hatte Honoré Blanc in Frankreich bereits in den 1760er-Jahren als oberster Waffen schmied von Louis XV die Herstellung von gleichen, austauschbaren Teilen eingeführt, so brachte erst die Präzision und Normierung, wie sie Whitworth mit vorantrieb, die Möglichkeit, Dinge industriell herzustellen. Und Präzision war auch gefragt, um die grösste Leistung von Whitworth überhaupt umsetzen zu können, die erste international gültige Normierung von Schraubgewinden. Ab 1841 setzte sich die erste Norm für Schraubgewinde international durch, kein Wunder, England war die führende Industrienation. Dabei etablierte Whitworth ein Gewinde mit 55° Winkel, die Steigung bestimmte die Dicke der Schraube oder des Bolzens – heutige metrische ISO-DIN Gewinde haben einen solchen mit 60°. Die Steigung wird mit der Anzahl der Gewindegänge per Inch angegeben. Für verschiedene Anwendungen wurden nebst BSW (British Standard Whitworth) dazu weitere Normen etabliert, so für Rohrverbindungen BSP (British Standard Pipe), für Velos BSC (British Standard Cycle) oder BSF (British Standard Fine). Etwas Konfusion ergibt sich für Unbedarfte durch den Umstand, dass frühe BSW Werkzeuge, speziell Gabelschlüssel, nicht den Flankenabstand der Sechskantschraube wofür sie passen bezeichnen, sondern die Dicke der Schraube oder des Gewindebolzens, auf die die entsprechende Schraube passt. Eine zusätzliche Verwirrung entsteht, wenn man berücksichtigt, dass während des 2. Weltkriegs für verschiedene Anwendungen die Grösse der Sechskant-Schraube bei gleichbleibendem Gewinde zum Materialsparen verkleinert wurde. Es kann also sein, dass ein Vorkrieg-Schraubschlüssel zwar korrekt bezeichnet ist und trotzdem zu gross für die entsprechende Schraube ist. Um noch etwas mehr Verwirrung zu stiften, liessen sich amerikanische Hersteller bei der Normierung ihrer Gewinde zwar von Whitworth leiten, waren aber bei der Einführung von Stahl- statt Eisenschrauben dazu übergegangen, den Winkel des Gewindeprofils auf 60° abzuflachen – so wie das metrische ISO-Gewinde. Die Angabe der Steigung hingegen basiert auch hier auf der Anzahl der «Threads per Inch», die Grössenangaben blieben also «zöllig» – aber eben, der Versuch des Aufdrehens einer UNF-Schraubverbindung (Unified National Fine) auf ein BSF-genormtes Teil endet mit dem Ruin von Gewinde und Schraube.  

 

JAGUAR-SCHRAUBEN  

Im Wissen um den Wandel bei Schrauben und Gewinden ist es kaum verwunderlich, dass wir bei einem Besuch bei Georg Dönni und dessen technischen Leiter Pete Heath auf eine Schachtel mit «S.S.-Schrauben» stossen. Bemerkenswert sind hier nicht nur die Grössen und Gewinde, sondern – bei einer zeitgenössisch-korrekten, originalgetreuen Restaurierung – natürlich die richtige Herkunft derselben. «Bees» steht auf den Schraubenköpfen, zwei sich berührende Bienen ergänzen die Prägung, die Schrauben entsprechen meistens der BSF (British Standard Fine) – Norm. Bees war der Supplier von Jaguar und wer heute in den einschlägigen Foren unterwegs ist, wird erkennen, dass eine jahrzehntealte Kiste rostiger Schrauben für manche ein kleiner Schatz beherbergen kann.  

Allerdings gibt es keinen Grund zur Sorge, auch alle anderen Arten von «Zoll-Schrauben» – um zurück zum allgemeinen Begriff zu gelangen – gibt es in Roggliswil direkt aus dem Gestell. Georg meint dazu: «In der Region ist es bekannt dass man bei Dönni Zollschrauben findet, wir haben oft Mechaniker anderer Betriebe, die sich hier eindecken». Klar, im Zweifelsfall hilft es natürlich, wenn mit der nötigen Expertise (und einer entsprechenden Gewindelehre zur Hand) durch Pete manches Beispiel aus dem Plastikkasten genommen werden und verglichen werden kann, als dass sich ein mit der verwirrenden Vielfalt völlig überforderter Landmaschinenmechaniker für den Ferguson- Traktor eines Kunden irgendwelche Schrauben aus dem Netz bestellt. Doch zurück zu Jaguar. In Coventry war das Thema Schrauben dergestalt wichtig – wir wissen um die knallharte Art der Kalkulation mit der Sir William Lyons zum Erfolg gekommen ist – dass angesichts der vollumfänglichen Systematik jede einzelne Schraube, jede Unterlagscheibe, jeder Federring oder Splint im Ersatzteilverzeichnis zu finden ist. Und nicht nur das, Georg Dönni hat sich zur schnelleren Erkennung, was genau hinter den entsprechenden Ersatzteilnummern steckt, die Codes entschlüsselt! «N» zum Beispiel bezeichnet eine Flügelmutter, «Q» ist Bronze, «C» Messing und «E» Kupfer, «T» steht für Stahl, ein Federring trägt als Präfix ein «X». Auch Spezialschrauben sind dabei, jene für die Befestigung des Lenkradschlosses vieler Modelle etwa reisst beim Festdrehen ab – zur Sicherheit damit sich das Schloss nicht einfach herausschrauben lässt. Oder Zylinderkopfschrauben für den Jaguar AJ6-Motor wie im XJ40 – auch diese sollte man nur einmal verwenden, der Grund ist klar, wie uns Pete erklärt: «Du ziehst diese fest und überdrehst sie nach dem Klick des Drehmomentschlüssels um 90°».  

Seit der Internationalisierung und engeren Verflechtung der Märkte, im Falle des Vereinigten Königreiches auch seit der Mitgliedschaft in der EU ab 1972 hat sich die metrische ISO-DIN-Norm weitgehend durchgesetzt. Bei Jaguar war dies wohl spätestens mit dem Verschwinden des XJ-S soweit. Und solch waghalsige Unterfangen wie die Konstruktion der Concorde, bei der die französischen Komponenten metrisch, diejenigen aus britischer Produktion hingegen «imperial», also zöllig waren, wird es vermutlich nie mehr geben.  

Zurück