DRIVEN X-TYPE JAGUAR (X400)
Bilder & Text: Martin Sigrist
Ist er es, oder ist er es nicht? Die Rede ist vom X-Type. Manch einem war der Gedanke, dass ein Jaguar auf einer Plattform eines Frontantriebs-Wagens aufbaut, damals nicht ganz geheuer und darum im Zweifel, ob der 2001 auf dem Markt erschiene X-Type ein echter Jaguar sei.
Immerhin, die ersten X-Type hatten Allradantrieb. Damit liess sich die Tatsache kaschieren, dass hier Ford einen gewagten Schritt gemacht hatte und die Einsparungen und Skaleneffekte bei der Benutzung einer bestehenden Plattform als wichtiger eingestuft hatte, als für Jaguar eine eigene Plattform in Standardbauweise – Motor vorn, Antrieb hinten – einzuführen. Die später aus dem Ford Mustang übernommene Plattform für den XE und XF verfügte damals noch über eine Starrachse statt der heute gebräuchlichen Multilink-Hinterachse – für einen Jaguar ein No-Go. Nebst den Einsparungen versprachen sich die Herren aus Dearborn, Michigan USA, aber auch eine gesteigerte Verarbeitungsqualität als bei einer Jaguar-Eigenkonstruktion, na-na-na ... Allerdings war dies nicht einmal die Hälfte der Wahrheit. Denn tatsächlich benutzt der X-Type weit weniger von der vielgenannten Ford-Plattform als vermutet und auch die Motoren haben bis auf den Block der V6 Motoren, nicht allzu viel mit jenen in einem Modeo gemeinsam. Sowohl der Radstand – der X-Type ist kürzer – wie die Spur, hier baut der Jaguar breiter, sind verschieden.
Die Hinterachse des X-Type ähnelt jener des Mondeo-Kombi, baut dafür kompakter als bei der Ford-Limousinne. Sämtliche Aufhängungskomponenten für den Jaguar sind eigens dafür abgestimmt und verfeinert worden. Dies kam nicht von ungefähr: Das Ziel von Jaguar, respektive deren Besitzer Ford, war die Jagd auf Kunden der deutschen Premiummarken Mercedes und damals einem recht frischer Mitbewerber mit dem A4, Audi. Als Benchmark galt allerdings der unbestrittene Leader in dieser Klasse, der BMW Serie 3.
Für Jaguar bescherte der X-Type viele Neuerungen und Erstlinge, nicht nur den Quermotor. Erstmals stiegen die Briten in die Mittelklasse ein, erstmals gab es Allradantrieb, und bald nach der Lancierung folgten die grossen Tabubrüche wie Dieselmotor, reiner Frontantrieb und eine Kombiversion. Gebaut wurde der X-Type in einer ehemaligen Ford-Fabrik in Halewood bei Liverpool, ehedem war dies die Heimstätte des Ford Escort gewesen. Grosse Pläne hegte Jaguar mit dem X-Type, das Ziel war, davon 100 000 Stück in einem Jahr zu verkaufen. In seinem besten Jahr 2003, waren es schliesslich 50 000 Stück. Und 2009, am 18. Dezember rollte der letzte X-Type vom Band. An seine Stelle trat der Land Rover Freelander II. Einen wirklichen Nachfolger seitens Jaguar in der Mittelklasse gab es erst wieder ab 2015 unter der Regie von Tata in der Form des Jaguar XE.
KRITIK:
Der X-Type entstand unter dem Eindruck der Guidelines von Ford, wie ein Jaguar aussehen sollte. Dabei versuchte man, den Fehler des über die Massen auf Retro getrimmten S-Type nicht zu wiederholen. Zwar sollte eine neue Zielgruppe mit vielen Erstkäufern erreicht werden, aber es sollten sich keine offensichtlichen Elemente von Ford am Auto finden lassen. Einziger Wermutstropfen, wie bereits erwähnt, war die Tatsache, dass das Auto auf einem Fronantriebskonzept basierte.
EIGENES URTEIL
Wir sind drei Vertreter des X-Type gefahren. Ein Estate mit 2.5-Liter V6 und Automat, dasselbe als Saloon mit Dreiliter V6 und Automat und schliesslich ein V6 Estate mit Fünfgang Handschaltgetriebe. Der 2.5 Liter V6 war unser erster Proband. Was sofort gefällt, ist das Holz im Innern, es ist tatsächlich natürlich gewachsen. Das zweite ist der sonore Sound des Motors. Jaguar hat den V6 Motor ganz bewusst akustisch präsent gestaltet, gemäss den damaligen Marktstudien würde man sich in der Zielgruppe einen sportlicheren Sound wünschen. Es ist der Beginn desssen, was uns zum sehr amerikanischen Brabbeln des F-Type gebracht hat. Nun, der 2.5 bietet zwar weniger Leistung als der Dreiliter, technisch aber zeigt er denselben Aufwand. Im Nachhinein ist es fraglich, was genau der Hintergrund gewesen ist, zwei sich so ähnliche Motoren gleichzeitig anzubieten. Einziger Unterschied: Für den Zweifünfer konnte Jaguar weniger verrechnen. Die Bedienhebel wie auch das Lenkrad sind übrigens «bespoke» Jaguar, worauf man damals grossen Wert legte. Und bei etwas forscherer Fahrweise wird die Auslegung des X-Type als Hecktriebler offenkundig. Wollten die Ingenieure zunächst auf eine Kraftverteilung von 30 zu 70 Prozent setzen, wurden daraus schliesslich deren 40 zu 60. Auf der Strasse ist dies erfreulich zu spüren. Wirken die maximal 18-Zoll grossen Räder im Vergleich zu heute zwar eher unterdimensioniert, so bieten sie einen guten Abrollkomfort. Wo der X sein Alter besonders deutlich zeigt, ist bei der Unterhaltungselektronik. Die Combo aus Bordcomputer, Integriertem Autotelefon und Radio war damals zwar State of the Art, gib heute aber eine Idee, wie weit es seit der «Erfindung» der Konnektivität mit Smartphone und Co gekommen ist.
Der Dreiliter, hier in einer Limousine verbaut, bietet von allem mehr, mehr Durchzug, mehr Leistung und – wen wunderts – mehr Fahrspass. Auch dieser ein Automat, bringt deren Auslegung einige Besonderheiten mit sich. So fehlt dem Wagen etwa jegliches Bremsmoment. Ein manuelles Eingreifen, auch der X-Type verfügt über die U-Schaltkulisse, hat wenig nutzbaren Effekt. Es empfiehlt sich also der Tritt auf die Bremse, was sich bei forscher Fahrweise mit leichten Duftakzenten nach Bremsbelag bemerkbar macht. Zum Ende unserer Drive-Session bringt R.D. seinen eigenen X-Type Estate an den Start, leicht tiefergelegt und mit einem knackigen 5-Gang-Getriebe. Dieses transformiert das Auto komplett. Ein Konkurrent für den Dreier-BMW? Voilà da ist er – war er. Der Wagen gibt einem ein hervorragendes Feedback über die aktuelle Fahrsituation, deutlich als Hecktriebler akzentuiert, lässt er sich mit einem sehr sauberen Strich durch die Kurven ziehen. Dazu gesellt sich derselbe generöse Kofferraum, ein akzeptabler Fahrkomfort und ein Interieur, das auch noch heute den Eindruck vermittelt, weitere Zehn Jahre anstandslos seinen Dienst zu tun. Im Nachhinein könnte man sagen: «Schade drum», der X-Type hat die hochfliegenden Erwartungen damals nicht erfüllt. Als Jaguar und als Alternative zum meist deutschen Premium-Angebot in der Mittelklasse braucht er sich aber nicht zu verstecken. Und das mit dem Klon eines Ford Mondeo, diese Story, die in letzter Konsequenz dem Auto im Weg stand und weit weniger Wahrheit in sich birgt, als kolportiert, diese verdanken wir hauptsächlich den Motorjournalisten. Dafür will ich mich im Namen meiner Berufskollegen aufrichtig entschuldigen …